„Wenn die glauben, dass das übertrieben ist, haben die wenig Ahnung vom Leben einer Migrantin…“
Im Interview: Melisa Erkurt, Journalistin, Lehrerin, Autorin
Teil 2
• Was denken Sie über Integration?
Viele Menschen mit Migrationshintergrund, die sich super integriert haben nach den Maßstäben der Mehrheitsgesellschaft, kommen jetzt drauf – ich habe all das gemacht, wo ihr mir gesagt habt: „Das machen, dann gehörst du zu uns.“ – trotzdem bekomme ich Anfeindungen, stoße ich auf eine imaginäre Mauer, schaffe ich es nicht, in die Führungsposition zu kommen – das kann es nicht sein. Integration ist, wenn beide Seiten eingestehen, dass man etwas bringen muss. Aber wenn eine Seite alles gemacht hat, aber trotzdem erreicht sie nicht dasselbe wie Menschen ohne Migrationshintergrund, egal in welcher Branche, oder sie muss so exzellent sein, weil man höhere Maßstäbe für sie hat – da muss die Mehrheitsgesellschaft begreifen, dass auch sie Menschen mit Migrationshintergrund auf Augenhöhe begegnen und ernst nehmen muss, wenn sie von Diskriminierung berichten, und nicht immer in diese Abwehrhaltung gehen: „Nein, so schlimm ist das nicht, das hat ja nichts mit Diskriminierung zu tun.“ Erst dann können wir in Österreich von gelungener Integration sprechen.
Ich habe all das gemacht, wo ihr mir gesagt habt: „Das machen, dann gehörst du zu uns“ – trotzdem stoße ich auf eine imaginäre Mauer.
• Wissen Sie eigentlich, ob die LeserInnen mit dem Inhalt Ihres Buchs „zufrieden“ sind? Welche Resonanz haben Sie von „Migranten“, Autochtonen, von den Medien oder von der Politik zu Ihrem Buch erhalten?
Menschen mit Migrationshintergrund berichten mir durchaus positiv, dass sie das erste Mal das Gefühl hatten, ihre Geschichte zu lesen, dass sie sich wiedererkannt haben. Jugendliche berichten mir, dass es das erste Buch ist, das sie zu Ende gelesen haben. Die Leute schicken mir bis heute ihre persönlichen Geschichten, was sie in der Schule und welche Diskriminierungen sie in Österreich erlebt haben. Es gibt ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund, die mir schreiben, dass mein Buch sehr augenöffnend für sie war, dass sie das noch nie so gesehen haben, oder nicht die Chance hatten, so tief einzutauchen in diese andere Perspektive. Dann gibt es natürlich die Sorte, die sagt: „Opferrolle, übertreib nicht, sei doch dankbar, wenn’s dir nicht passt, dann geh doch nach Bosnien.“ Da sieht man erst – wenn die glauben, dass das übertrieben ist, haben die ja wenig Ahnung vom Leben einer Migrantin. Weil ich, mit meinen blauen Augen und meiner weißen Haut, habe noch nicht annähernd so viel erlebt, wie Menschen die sichtbar Migrationsvordergrund haben, die Kopftuch tragen. Die erleben tausendmal Schlimmeres. Wenn man bei mir schon meint ich übertreibe, dann hat man echt keine Ahnung wie das ist.
Von der politischen Seite gab es genauso durchmischte Reaktionen. Viele PolitikerInnen haben den Austausch mit mir gesucht. Man hat gerne ein Gespräch und dann kann man sagen: „Ich hab’ was gemacht für Diversität“ – aber direkt etwas umgesetzt haben sie nicht. Es waren dann eher die einzelnen Menschen, die etwas gemacht haben, z.B. UniprofessorInnen, die Lehrveranstaltungen basierend auf meinem Buch gemacht haben.
• Merken Sie, dass Sie mit „Generation Haram“ etwas bewirken konnten, oder dass sich etwas bewegt?
Noch ist politisch nichts weitergegangen. Bürgermeister Ludwig meinte in einem ZiB2 Interview, mein Buch wäre eine pointierte Bemerkung und der Bildungsminister meinte in einem Standard-Interview, es wäre polemisch. Ich denke also die Sensibilität oder der Wille, aufgrund dieses Buches etwas zu verändern, ist nicht da. Da müssten dann schon die Leute, wie bei „Fridays for Future“, auf die Straße gehen, damit die Bildungspolitik sagt, wir müssen etwas verändern, die üben ordentlich Druck auf uns aus.
Die Leute schicken mir bis heute ihre persönlichen Geschichten, was sie in der Schule und welche Diskriminierungen sie erlebt haben.
• Was können Sie empfehlen, wie können Menschen mit Migrationshintergrund ohne Unterstützung aus Ihrem Umfeld schulisch erfolgreich sein oder beruflich aufsteigen?
Viel lesen ist sicher gut. Lesen hat mir neue Lebenswelten nähergebracht und mein Deutsch wesentlich verbessert. Ich denke der Austausch mit anderen Menschen ist sehr wichtig, dass man rausgeht und nicht in einer Blase lebt. ABER: Das ist schwierig, weil das kann man von 12-13jähigen nicht erwarten. Ich denke die Lösung ist, dass nicht die Menschen Einzelstrategien entwickeln, sondern dass die Schule sagt, wir stellen das allen SchülerInnen zur Verfügung – wir bringen sie zu den Büchern, wir bringen sie ins Theater, wir machen für sie alles erleb- und erfahrbar. Denn diese Motivation werden 10jährige nicht aufbringen können.
• Wie sehen Sie sich, wie definieren Sie sich, wie stellen Sie sich vor?
Es kommt normalerweise gar nicht so weit, dass ich mich vorstelle, denn die Leute fragen, woher mein Name kommt. Wenn ich mich vorstelle sage ich Migrantenkind, Flüchtlingskind, Abeiterkind, muslimischer Background. In der Schule habe ich immer allen meinen Background gesagt, damit die SchülerInnen wissen, dass ich ihre Lebenssituation kenne.
Ich, mit meinen blauen Augen und meiner weißen Haut, habe noch nicht annähernd so viel erlebt, wie Menschen die sichtbar Migrationsvordergrund haben.
• Wie beeinflusst Ihr Migrationshintergrund Ihren Charakter und Ihre Verhaltensweisen?
Ich glaube die soziale Klasse, gekoppelt mit dem Migrationshintergrund hat mich beeinflusst. Wenn ich jetzt ein Kind von bosnischen Diplomaten wäre, dann hätte es mich ganz anders geprägt. Aber meine Eltern haben schlecht bezahlte Jobs verrichtet. Das hat mich insofern geprägt, als dass ich gewusst habe, meine Eltern haben eh schon Probleme, ich darf ihnen nicht noch mehr machen. Meine Eltern können sich auf Deutsch nicht so gut ausdrücken, deshalb muss ich viel übernehmen, ich muss schnell erwachsen und selbständig werden.
Manchmal fragen mich die Leute, wie ich das gemacht habe, ein Buch geschrieben, nebenbei zwei Kolumnen, ein Podcast und einen Hauptjob. Mir kommt das gar nicht so viel vor, weil ich nur hart arbeitende Menschen kenne. Das, glaube ich, hat mich am meisten beeinflusst und geprägt. Aber ich glaube auch es macht etwas mit dir, wenn du geflüchtet bist. Wenn Krieg Teil deiner Geschichte ist, dann hast du andere Ängste.
Das Gefühl, das auch jedes Migrantenkind hat, ist, dass es nicht weiß, was Heimat ist. Diese Identitätssuche begleitet uns alle: Woher komme ich, wohin gehöre ich?
Da müssten dann schon die Leute, wie bei „Fridays for Future“, auf die Straße gehen, damit die Bildungspolitik sagt, wir müssen etwas verändern.
• Ali Mahlodji`s (Gründer der Internetplattform whatchdo) großes Projekt, wie er uns in einem Interview verraten hat, ist es, eine Schule zu bauen, in der man alles lernt, was man NICHT in der Schule lernt. Haben Sie auch Pläne für ein neues Buch, ein Projekt oder eine ANDERE Schule?
Ich finde diese Idee mit der Schule großartig, ich glaube, dass ich das auch einmal machen könnte. Ich habe ein Medienprojekt, das vor kurzem als Instagram-Account an den Start gegangen ist, es heißt “Die Chefredaktion”. Es soll ein junges, diverses Publikum ansprechen. Im Moment ist die Realität im Journalismus nicht abgebildet. Wenn zu viele Medien damit leben können, ein junges, diverses Publikum nicht zu erreichen, in Ordnung – ich kann es nicht. Bei uns wird selbstverständlich jeder Zweite oder Dritte Migrationshintergrund haben. Wir machen nicht nur Storys für junge Leute, sondern beziehen sie immer ins Making-of ein.
Diese Identitätssuche begleitet uns alle: Woher komme ich, wohin gehöre ich?
• Ihr Ratschlag an diejenigen, deren Vorbild oder Sprachrohr Sie sind?
Macht euch die Sprache, dieses wundervolle Deutsch, zueigen. Wie habe ich es geschafft? Ich habe Deutsch genutzt um zu artikulieren was schief läuft, was ich besser haben will, um mich zu beschweren. Macht euch die Sprache zueigen, um auf Missstände hinzuweisen.
• Vielen Dank für das interessante Interview!