W.I.R. – der Wiener Integrationsrat präsentiert erstes Statement: Gesellschaftliche Ungleichheiten durch Pandemie verschärft
Vizebürgermeister Wiederkehr: „Das Gemeinsame vor das Trennende stellen – insbesondere in Pandemiezeiten!“
(rk) „W.I.R – der Wiener Integrationsrat“ besteht aus 10 Expert*innen aus den Fachbereichen Migration und Integration, die sich im vergangenen Jahr mit den Auswirkungen und Folgen der Pandemie auf die Integrationspolitik der Stadt Wien beschäftigten. Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der WU Wien und Mitglied des Wiener Integrationsrates, präsentierte heute die wesentlichen Erkenntnisse. Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr, der den Rat initiierte, erläuterte die politischen Ableitungen für die Wiener Integrationspolitik.
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr: „Die Pandemie hat auch im Integrationsbereich deutliche Spuren hinterlassen. Ich möchte weder die Augen vor diesen Herausforderungen verschließen noch hochemotionale Debatten befeuern. Mein Ziel ist vielmehr eine vernünftige und lösungsorientierte Integrationspolitik, die das Gemeinsame vor das Trennende stellt – insbesondere in Pandemiezeiten. Umso wichtiger ist es, die Expertise von Wissenschaftler*innen und Forscher*innen ernst zu nehmen und entsprechende Maßnahmen für die Wiener Integrationspolitik daraus abzuleiten.“
„Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund waren und sind von COVID-19 überdurchschnittlich stark betroffen, und zwar nicht vorrangig in punkto Infektionshäufigkeit, sondern vor allem ökonomisch, sozial und psychisch,“ sagt Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der WU Wien und Mitglied des Wiener Integrationsrates. In der Pandemie hätten sich bereits zuvor bestehende Ungleichheiten beim Gesundheitszugang, am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und beim Wohnen verschärft.
Ungleichheiten im Bildungsbereich: So wirkte sich beispielsweise Home-Schooling auf Kinder mit Migrationshintergrund besonders nachteilig aus: Fast ein Drittel der Schüler*innen konnte im ersten Lockdown nicht erreicht werden, Schüler*innen aus Deutschförderklassen waren besonders betroffen.
Sprachliche Barriere bei Gesundheitskommunikation: Ungünstige Arbeits- und Sozialverhältnisse, geringe Deutschkenntnisse oder ein niedriges formales Bildungsniveau können den Zugang zu Informationen zur Pandemiebekämpfung für migrantische Gruppen erschweren. Manche dieser Barrieren konnten durch soziale Kontakte und zivilgesellschaftliche Vereine abgefedert werden konnten. Dennoch muss es das Selbstverständnis der öffentlichen Gesundheitsversorgung sein, allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Zugang zu verständlichen Gesundheitsinformationen zu verschaffen.
Kulturalisierung und Diskriminierung: Diskriminierende und rassistische Angriffe haben laut „W.I.R. – der Wiener Integrationsrat“ während der Pandemie zugenommen. Es wird eindringlich davor gewarnt, österreichische Problemlagen, wie eine im internationalen Vergleich geringe Impfquote, zu ethnisieren und kulturalisieren. Denn derzeit würden ausreichend repräsentative Daten fehlen, die eine deutlich geringere Impfbereitschaft unter Migrant*innen im Vergleich mit der nicht-migrantischen Bevölkerung belegen. Andere Faktoren, wie Alter und Einkommen, würden eine deutlich entscheidendere Rolle spielen.
„Wir sehen deutlich, dass die Corona-Krise bereits bestehende Ungleichheiten zwischen migrantischer und nicht-migrantischer Bevölkerung verschärfte. COVID-19 macht Defizite der Integration und Integrationspolitik, die bereits vor der Krise bestanden haben, sichtbarer. Es zeigte sich aber auch, dass erfolgreiche Integration bei der Bewältigung von covid-bedingten Problemlagen hilft und uns für künftige Herausforderungen wappnet. Gerade die vielen migrantischen Systemerhalter*innen in Krankenhäusern, Handel und Infrastruktur haben uns durch diese Krise getragen“, so Kohlenberger.
Mehr niederschwellige Informationsangebote und Investitionen in Bildung gefordert
Um die wachsende Ungleichheit in vielen Lebensbereichen zu bremsen, empfiehlt „W.I.R. – der Wiener Integrationsrat“ in der städtischen Integrationspolitik neue Akzente zu setzen, ebenso wie bisherige Aktivitäten und Programme zu stärken und auszubauen. Dazu zählen der Aufbau und die Förderung von Community-basierten Aktivitäten in der unmittelbaren Nachbarschaft, eine sozial eingebettete Gesundheitskommunikation in den Communitys sowie zusätzliche Bildungsangebote. Als Beispiele seien verstärkte Elternbildungsprojekte, der Einsatz von Gesundheitslots*innen, ebenso wie ein konsequentes Angebot von mehrsprachigen Informationen genannt.
Stadt forciert mehrsprachige Kommunikation zur Pandemiebekämpfung
Die Stadt reagiert in der Pandemie mit diversen Kommunikationsangeboten auf die spezifischen Bedürfnisse von Communitys. Seit 2020 wird der Corona Infoservice der Stadt Wien Abteilung für Integration und Diversität (MA 17) in 10 verschiedenen Sprachen angeboten. Auf den Social Media Kanälen finden sich Informations- und Aufklärungsgespräche mit Expert*innen in der jeweiligen Muttersprache. Auch Angebote wie Gurgeltests und die Corona-Schutzimpfung wurden online in bis zu 12 Sprachen beworben. Zusätzlich waren die Aufklärungskampagnen zu „Alles Gurgelt“ und der Corona-Schutzimpfung mehrsprachig gestaltet. Zuletzt ging auch das Bürger*innenschreiben zur Auffrischungsimpfung sowie zum Thema Impfmythen in mehreren Sprachen an alle Wiener Haushalte.
Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr: „Unsere Arbeit im Integrationsbereich darf insbesondere in Krisenzeiten nicht stillstehen. Dafür müssen wir Angebote und Informationen verstärkt dorthin bringen, wo sich der Lebensalltag der Menschen abspielt: in Vereinen, Communitys und Bildungseinrichtungen. Wir investieren bereits verstärkt in Elternbildungsprojekte, Videodolmetsch für Schulen und in die Aufstockung von Sprachförderkräften im Kindergarten. Denn Bildung ist der Schlüssel für Integration. Was es zusätzlich braucht, ist Dialog und Kommunikation auf Augenhöhe!“
Bereits bestehende Bildungsmaßnahmen, wie die Förderung von Deutsch und muttersprachlichen Angeboten, würden daher weiter ausgebaut. Mit der Aufstockung der Sprachförderkräfte von derzeit 300 auf insgesamt 500 Sprachförderkräfte wurde im Elementarpädagogikbereich bereits begonnen – 50 Sprachförderkräfte sind seit Herbst neu im Einsatz. Förderangebote wie die Lernförderung in Summer City Camps oder auch die Wiener Lernhilfe der VHS wurden verstärkt. Bereits bestehende Bildungsmaßnahmen wie die Förderung von Deutsch und muttersprachlichen Angeboten sollen weiter ausgebaut werden. Im letzten Jahr legte Vizebürgermeister Wiederkehr außerdem den Schwerpunkt auf Angebote im Bereich der Elternbildung. Insgesamt 16 Projekte – von digitalen Angeboten zur Unterstützung in der Elternkommunikation bis hin zur Ausbildung von eigenen Elterntrainer*innen – laufen derzeit.
Neue Integrationsprojekte mit Schwerpunkt auf Dialog mit Communitys
Zusätzlich werden im kommenden Jahr im ersten Schritt folgende Projekte von der Integrations- und Diversitätsabteilung (MA17) ausgerollt:
• Kostenlose Elternbildungsworkshops für Schulen und Vereine in ganz Wien: Schulen und Vereine können sich kostenlos für Workshops zu vier verschiedenen Themen in vier Sprachen anmelden.
• Förderschwerpunkt 2022 liegt auf Migrant*
• Integrationsprojekt „Dein Wien. Deine Stadt“: Migrant*innenorganisationen werden mehrmals jährlich zu strukturierten Gesprächsrunden mit der Stadt eingeladen mit dem Ziel, den Dialog und die Begegnung auf Augenhöhe zu forcieren.
• Ausbildungsprogramm für eigene Communikator*innen in Communitys: Das Ziel ist Vermittler*innen zwischen Communitys und Einrichtungen im Grätzl, im Bezirk und in der Stadt einzusetzen. Der Fokus liegt dabei auf Themen wie Stärkung der Grund- und Freiheitsrechte sowie Konfliktvermittlung im interkulturellen Kontext.