BILDUNGINTERVIEWJUGEND

„Die Frage, was ein guter Beruf ist, davon halte ich gar nichts…

weil hier vollkommen übersehen wird, welcher Mensch sitzt vor mir und was hat er für Interessen, Fähigkeiten, Vorstellungen und Wünsche.“

• Lieber Herr Keck, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Willi Keck, ich bin Mitarbeiter im BiWi, im Berufsinformationszentrum der Wirtschaftskammer Wien. Wir beraten vor allem Jugendliche von 13 bis 20 Jahren. Ich bin bereits seit 20 Jahren in der Berufsberatung und -orientierung tätig.

• Sie beraten laufend Schülerinnen und Schüler, was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Ich denke das Wichtigste ist, dass wir die Jugendlichen motivieren, sich mit der Berufswahl zu beschäftigen. Es ist auch wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen, für die Wichtigkeit einer Ausbildung, dass Bildung an sich bereits einen hohen Wert hat – unabhängig davon, ob man das erworbene Wissen direkt in einem Beruf einsetzen kann oder nicht. Wir sehen in allen Statistiken und Arbeitsmarktdaten, dass eine abgeschlossene Ausbildung einfach bessere Chancen am Arbeitsmarkt bietet.

„Die Frage, was ein guter Beruf ist, davon halte ich gar nichts, weil hier vollkommen übersehen wird, welcher Mensch sitzt vor mir und was hat er für Interessen, Fähigkeiten, Vorstellungen und Wünsche.“

• Vielerorts heißt es, dass es zwar Lehrstellen aber nicht genügend Lehrlinge gibt. Merken Sie, dass sich die Jugendlichen eher für akademische Berufe interessieren oder ist dies oft eher der Wunsch der Eltern?
Hier muss man regional unterscheiden, die Situation am Lehrstellenmarkt ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, z.B. in Oberösterreich oder Salzburg, wo die Betriebe händeringend nach geeigneten Bewerbern suchen. In Wien ist das ein bisschen anders, hier gibt es mehr BewerberInnen als offene Stellen. Wir merken aber nach wie vor, dass es einen gewissen Trend zu schulischen Ausbildungen gibt, und dass uns auch viele junge Leute sagen, dass sie gerne studieren wollen. Ich würde aber auch sagen, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein gestiegen ist, dass die Lehre als Fachausbildung wieder an Wert gewinnt.

• Um den Lehrlingen auch die Möglichkeit zu bieten, nach der Lehre studieren oder eine höhere Ausbildung machen zu können, gibt es das Modell Lehre mit Matura. Wie wird Ihrer Meinung nach diese Möglichkeit angenommen?
Das Modell Lehre mit Matura, oder Berufsreifeprüfung, ist u.a. deshalb entwickelt worden, um dem Klischee, die Lehre sei eine Sackgasse, entgegenzuwirken. Die Lehre war ja nie wirklich eine Sackgasse, da es ja immer Weiterbildungsmöglichkeiten gegeben hat. Aber man hat trotzdem gemeint, es ist gut, wenn Lehrlinge eine Reifeprüfung machen können, weil sich damit auch die Türen für Hochschulausbildungen öffnen. Meine Erfahrung ist, dass dieses Modell bei den jungen Leuten und bei den Eltern bekannt ist, dass viele danach fragen, und dass viele versuchen, es in Anspruch zu nehmen. Was meiner Meinung nach ein bisschen unterschätzt wird ist, dass es doch ein zusätzlicher Aufwand ist. Zusätzlich zur Lehrausbildung, zusätzlich zur Berufsschule, muss auch für die vier Teilprüfungen gelernt werden. Die Abbruchquoten sind bei diesem Modell nicht so gering.

Das Wichtigste ist, die Jugendlichen zu motivieren, sich mit der Berufswahl zu beschäftigen.

• Weiters scheint es jetzt auch den entgegengesetzten Trend zu geben, nämlich die Lehre nach der Matura. Welche Vorteile gibt es und warum denken Sie, wählen Jugendliche, oder besser gesagt junge Erwachsene, diesen Weg?
Die Lehre nach der Matura ist in der Tat in den Letzten Jahren ein Thema geworden, wir merken das auch in den Beratungsgesprächen von jungen MaturantInnen, die an einer Uni oder Fachhochschule studieren. Die kommen dann drauf, dass es ein bisschen zu theoretisch oder zu wissenschaftlich ist und sie haben dann Sehnsucht nach einer praktischen oder praxisorientierten Ausbildung.
Der Vorteil liegt auf der Hand, man kann sich ein Lehrjahr ersparen, wenn der Arbeitgeber damit einverstanden ist und man hat damit eben den Fuß direkt im Arbeitsmarkt.
• Wo können sich Jugendliche am besten über Berufe oder Berufswege informieren?
Mittlerweile gibt es eine breite Palette an Informationsmöglichkeiten. Angefangen beim Internet, da gibt es durchaus sehr gute Seiten, z.B. der BIC, der Berufsinformationscomputer (WK), den Karrierekompass und das Berufslexikon (AMS). Es gibt nach wie vor die gedruckten Broschüren, wie Schulberufsführer oder Berufslexika.
Es ist auch gut mit Freunden, Bekannten und Verwandten darüber zu reden. Wie bist du zu deinem Beruf gekommen, was wolltest du mit 13 werden und was bist du wirklich geworden?
Nicht zuletzt können die Berufsinfozentren, wie unser BiWi, eine gute Anlaufstelle sein.

Der Aufwand bei der „Lehre mit Matura“ wird oft ein bisschen unterschätzt.

• Was sagen Sie Jugendlichen, die Angst haben, die falsche Entscheidung zu treffen?
Erstens ist Angst grundsätzlich kein guter Ratgeber und zweitens auch nicht notwendig. Ich glaube eine gute Berufsentscheidung wird dann zustande kommen, wenn man rechtzeitig mit der Information beginnt, wenn man sich gut informiert über Ausbildungen und Berufe, wenn man versucht ein möglichst praxisorientiertes Bild zu bekommen. Dann ist die Chance recht groß, dass eine Berufsentscheidung gelingt. Man muss auch sagen, dass wir in einem Land leben, in dem es ein sehr gut entwickeltes Bildungssystem gibt, man kann zu einem späteren Zeitpunkt immer noch Wege ändern.

Die Frage ist: Mit welcher Ausbildung hat ein bestimmter Mensch mit seinen Interessen, Fähigkeiten und Vorstellungen gute Chancen?

• Gibt es etwas, das Sie prinzipiell empfehlen?
Prinzipiell empfehle ich, dass wir den Menschen im Auge behalten müssen, das heißt die Frage „Mit welchem Beruf hat man gute Chancen?“, die kann ich nicht beantworten. Ich will mich damit beschäftigen: Mit welcher Ausbildung hat ein bestimmter Mensch mit seinen Interessen, Fähigkeiten, Vorstellungen gute Chancen? Ich empfehle, sich mit den eigenen Interessen und Stärken zu beschäftigen, sich über denkbare Wege gut zu informieren und dann eine Entscheidung zu treffen.
Die Frage „Was ist ein guter Beruf, was ist eine gute Ausbildung?“, von der halte ich gar nichts, weil hier vollkommen übersehen wird, welcher Mensch sitzt vor mir und was hat er für Vorstellungen und Wünsche?

• Was machen Sie, wenn jemand überhaupt nicht weiß, in welche Richtung er oder sie gehen will?
Damit sind wir immer wieder konfrontiert. Es gibt ja Interessentests oder Potenzialanalysen, die uns helfen, Orientierung zu finden. Erfahrene BerufsberaterInnen sind dann oft in der Lage Richtungen zu konkretisieren und passende Berufswege herauszuarbeiten.

Eine gute Berufsentscheidung wird dann zustande kommen, wenn man sich gut informiert und versucht ein praxisorientiertes Bild zu bekommen.

• Haben Sie Menschen, die Sie besonders berührt haben oder die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?
Wir als BerufsberaterInnen bekommen nicht so viel Feedback, es ist aber schön, wenn dann Väter oder Mütter bei mir anrufen und sagen „Erinnern Sie sich? Ich war vor einigen Jahren mit meinem Kind bei Ihnen, das hat gut funktioniert. Jetzt hätte ich noch ein jüngeres Kind, kann ich wieder zu einem Informationsgespräch kommen?”

• Gibt es etwas, das Sie unseren LeserInnen noch sagen möchten?
Wer Hilfe braucht, kann gerne bei uns vorbeikommen, unsere Angebote sind alle kostenlos, unter www.biwi.at finden Sie alles was Sie brauchen. Denen, die gerade vor einer beruflichen Entscheidung stehen, wünsche ich alles Gute.

• Vielen Dank für das Interview

 

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