FRAUENINTEGRATIONINTERVIEW

„Ich habe die Chance ergriffen und etwas erreicht “

Eser Akbaba im Interview zu ihrem Buch "Sie şprechen ja Deutsch!"

• Liebe Frau Akbaba – für alle die Sie eventuell noch nicht kennen – könnten Sie sich bitte kurz vorstellen.
Ich bin Wienerin mit ostanatolischen Wurzeln (meine Eltern kommen aus Dersim), bin 40 Jahre alt und bin Wettermoderatorin beim ORF.

• Sie engagieren sich ehrenamtlich für verschiedene Projekte, die mit Migration zu tun haben. Welche sind diese und weshalb ist Ihnen das ein Herzensanliegen?
Die Eigenschaft zu helfen wurde mir in die Wiege gelegt, da meine Eltern schon damals vielen Menschen – auch Flüchtlingen – geholfen haben.
Ich bin der Meinung, dass es uns in einem Land wie Österreich sehr gut geht, und dass wir den Menschen, die eben nicht dieses Glück haben wie wir, helfen sollten.
Anlässlich der Flüchtlingsbewegung 2015 habe ich gemeinsam mit einer Freundin im Projekt „Nubigena Wolkenkind“ gearbeitet, wo wir in Schulen unterwegs waren und die Schülerinnen und Schüler zum Thema „Flüchtlinge“ und „Fluchtbewegung“ sensibilisiert haben.
Weiters bin ich seit 2011 Integrationsbotschafterin, initiiert vom damaligen Staatssekretatiat für Integration. Hier besuche ich auch Schulen und erzähle von meinem Werdegang. Ich fungiere hier als Role Model für Junge und bekomme ganz tolles Feedback, vor allem von den Schülerinnen. Vorbilder sind ganz wichtig für die Jungend.

• Aus welcher Motivation heraus ist Ihr Buch „Sie şprechen ja Deutsch!“ entstanden?
Im Prinzip war es die Idee meines Kollegen, Jürgen Pettinger, der die ZiB20 moderiert. Wir haben uns im Studio eigentlich immer nur so unterhalten. Seine Sendung war nach meinem Wetter und zwischendurch hatten wir immer ein paar Minuten, um über Alltägliches zu plaudern. Dabei haben ihm meine Geschichten über meine Familie, meine Herkunft und mein Leben so interessiert, dass er mich letztes Jahr im Mai gefragt hat, ob wir nicht zusammen ein Buch schreiben wollen. Gesagt – getan.

• Sie haben dieses Buch Ihrer Mutter gewidmet. Weshalb genau?
Meine Mutter hatte leider nie die Möglichkeit eine Schule zu besuchen. Sie wollte es sehr, doch ihr Vater, also mein Großvater, hat es ihr leider nicht erlaubt.
Umso mehr wollte sie, dass ich studiere und von niemandem abhängig bin.
Wir leben im 21. Jahrhundert und es gibt weltweit noch immer über 700 Mio Analphabeten – die meisten davon sind Frauen und Kinder!
Bildung ist ein Menschenrecht und darf niemandem verwehrt bleiben.

• Denken Sie, dass Ihre Lebensgeschichte, bzw. vor allem Ihre Kindheit, ähnlich wie die vieler anderer Gastarbeiterkinder ist?
Meine Lebensgeschichte ist für die zweite Generation der Gastarbeiter nichts Neues. Viele haben genau dasselbe erlebt wie ich. Ich hatte nur das Glück, dass ich mit einem Jahr in den Kindergarten kam, weil meine Eltern arbeiten mussten und ich somit mit der deutschen Sprache aufgewachsen bin. Was natürlich auch nicht das Ideale ist, da ich weder meine Muttersprache Zaza, noch Türkisch wirklich gelernt habe. Deshalb meinen ja viele Sprachwissenschaftler, dass Kinder zuerst ihre Muttersprache lernen sollen.

• Die Kapitelüberschriften in ihrem Buch sind deutsch und türkisch gehalten. Welchen Stellenwert hat das Türkische heute für Sie?
In diesem Fall haben wir uns für eine Sprache entschieden, die wir auch innerhalb der Familie und Verwandten sprechen – nämlich Türkisch. Auch diese Sprache beherrsche ich nicht perfekt. Ich habe sie erst viel später gelernt.

• Sie haben außerdem eine dritte Muttersprache. Erzählen Sie uns kurz darüber?
Zaza ist meine eigentliche Muttersprache und ist mit der iranischen Sprache verwandt. Meine Mutter konnte bis zu ihrer Hochzeit kaum ein Wort Türkisch. Sie hat es später von meinem Vater gelernt.

• Wie waren Ihre ersten Jahre in Österreich, an was können Sie sich erinnern, bzw. was wissen Sie über Ihr Leben und das Ihrer Familie.
Mein Vater kam 1973 ohne meine Mutter nach Österreich. Ein halbes Jahr später ist meine Mutter nachgekommen. Sie hatten es anfangs schwer, vor allem hat meine Mutter sehr darunter gelitten, dass sie meine Geschwister in der Türkei lassen musste. Meine Eltern erzählen heute, dass sie sehr viel und hart arbeiteten mussten. Integrationsarbeit war damals nicht geplant. Damals wollte man die Gastarbeiter nur vorübergehend beschäftigen – das war das sogenannte Rotationsprinzip. Die Geschichte hat uns aber gezeigt, dass es eben anders gekommen ist. Die Gastarbeiter sind in Österreich geblieben und haben ihre Familien nachgeholt. Integration war vorerst (noch) ein Fremdwort.
Besonders schwer war es für meine Mutter, in diversen Jobs Fuß zu fassen, da sie nicht lesen und schreiben konnte.

• Wie würden Sie Ihre Schullaufbahn beschreiben?
Ich war nicht die beste Schülerin, ich war sehr interessiert in Sprachen… An die Schulzeit kann ich mich nur dunkel erinnern. Als ich dann die Matura hatte, war ich sehr glücklich, denn somit hatte ich Zugang zur Uni – der Wunsch meiner Mutter hatte sich erfüllt.

• Sie waren und sind die Frau „Magistrat“ in Ihrer Familie. Was heißt das?
Ich habe alle Amtswege, Telefonate, Arztbesuche, etc. begleitet und gedolmetscht. Ich war und bin zum Teil noch immer der Personal Assistant der Familie.

• Durch Ihr Buch haben Sie sicherlich nochmals mehr über die Worte Migranten, Integration usw. reflektiert. Wie sehen Sie sich jetzt, wie sehen Sie andere „Migranten“?
Ich bezeichne mich nach wie vor als Wienerin mit ostanatolischen Wurzeln, die die Chance ergriffen und etwas erreicht hat – nämlich vom Gastarbeiterkind zur TV-Moderatorin. Und das können andere auch. Es gibt in Österreich einige, die eine ähnliche Biographie haben wie ich und Anwälte, Ärzte, Unternehmer, etc. sind. Diese Menschen sind nicht sichtbar. Ich bin jeden Tag im TV zu sehen, deshalb bin ich für viele ein Role Model. Aber wir haben genug Role Models in unserem Land, man muss sie nur sichtbar machen.

• Sie haben auch über das Projekt ZUSAMMEN:ÖSTERREICH geschrieben, an dem Sie als Integrationsbotschafterin teilgenommen haben. Wie beurteilen Sie die Integrationspolitik der vergangenen Jahre?
Es hat sich in den letzten 15 Jahren sehr viel getan. Wenn ich bedenke, dass es das Wort „Integration“ vor 40 Jahren nicht wirklich gegeben hat. Wir haben durch dieses Projekt „Zusammen:Österreich“ sehr viel erreicht, nämlich genau diese Menschen hervorzuheben, die auch viel erreicht haben und ihre Geschichte erzählen wollen. Und genau das braucht dieses Land – mehr Vorzeigebeispiele!
Wir haben, was den Bildungsbereich betrifft, noch sehr viel zu tun. Es gibt heutzutage – ganz anders als vor 40 Jahren – sehr viele Maßnahmen, aber wir brauchen – besonders für die Jugend – Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren kann.
Ich unterrichte heute Kinder in der Schule, wo ich damals selbst als Kind war. Und ich weiß jetzt im Nachhinein genau, welche Bedürfnisse diese Kinder haben, wo ich wie ansetzen muss. Und genau das brauchen wir im Bildungsbereich – PädagogInnen, die die Bedürfnisse dieser Kinder verstehen.
Ich bin auch der Meinung, dass wir Mehrsprachigkeit fördern sollten. Aber nicht nur die Elitesprachen, wie Englisch und Französisch, sondern auch die Sprachen, die wir auch im Alltag hören, wie BKS, Türkisch, Kurdisch, Zaza, Arabisch, etc. Das passiert vor allem mit dem Erfolgsprojekt „sag‘s multi“ vom „Verein Wirtschaft für Integration“. Dort wird gezeigt, dass Mehrsprachigkeit ein Asset ist.

• Sie setzen sich auch für Flüchtlinge ein. Was denken Sie über die aktuelle Situation an der griechischen Grenze und an der Haltung Österreichs und dem Rest der EU?
Ich habe 2015 wie viele andere Menschen in Österreich gespendet und bin nach Traiskirchen gefahren – das war für mich selbstverständlich. 2015 war die Politik mit der ganzen Situation überfordert. Was ist passiert?! Bürgerinnen und Bürger haben Eigeninitiative gezeigt und haben geholfen. Dieses „NachbarinNot“-Gefühl ist Gott sei Dank vielen Menschen in Österreich erhalten geblieben. Meine Mutter würde jetzt sagen: „Die Menschlichkeit ist noch nicht ausgestorben“.
Es tut mir natürlich in der Seele weh, wenn ich diese Bilder im TV sehe. Aber das ist die Aufgabe der Politik und der EU hier ehestmöglich eine Lösung zu finden.

• Möchten Sie noch einige Worte an unsere Leserinnen und Leser richten?
If you stop learning, you stop growing.

• Vielen Dank für das Interview!
Ich habe zu danken!

 

Foto: manfred weis

 

 

Eser Akbaba, Jürgen Pettinger
Sie şprechen ja Deutsch!
Traum und Wirklichkeit einer
anatolischen Österreicherin

Mit Illustrationen von Hüseyin Işik
Format 13,5 x 21,5 cm
192 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-218-01205-8
€ (A, D) 22,00
Verlag: K&S
Auch als E-Book erhältlich

 

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