INTERVIEWJUGEND

In jeder Krise gibt es durchaus Dinge, die lehrreich und wichtig sind!

Im Interview: Mag.a Dusica Tepic

• Liebe Frau Mag. Tepic, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Dusica Tepic, ich bin klinische Psychologin und Geshundheitspsychologin, habe mich in den Bereichen Kinder, Jugendliche, Familie und auch Paare und Sexualität spezialisiert.

• In der Coronakrise gibt es für alle unterschiedliche Herausforderungen. Für manche werden diese Herausforderungen zu viel. Wie sehen Sie die Krise?
Seit März tauchen ständig uns unbekannte, neue Herausforderungen auf. Wir werden ständig mit neuen Informationen konfrontiert, die unseren Alltag aus dem Gleichgewicht bringen und uns neue Verhaltensweisen delegieren. Das alles verunsichert uns sehr und führt zu unterschiedlichen Reaktionen und Ängsten, die sich wiederum negativ auf uns und auf unseren Alltag und die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken. Bereits im Herbst 2020 haben 70 Prozent der Kinder angegeben, dass sie mit der Situation sehr belastet sind. Mittlerweile kann man sagen, dass sich jeder sehr überfordert und unsicher mit dieser Situation fühlt. Besonders jetzt wäre es wichtig, dass der Besuch bei einem/er Psychologen/in von der Kasse übernommen wird, wie andere Leistungen auch.

 

Mittlerweile kann man sagen, dass sich jeder sehr überfordert und unsicher mit dieser Situation fühlt.

 

• Wie erkenne ich, dass mein Kind depressiv ist? Haben Kinder und Jugendliche andere Symptome als Erwachsene?
Kinder, wie auch wir Erwachsenen, reagieren mit unspezifischen, psychischen Symptomen auf diese Krise. Viele reagieren mit Angst, Schlaflosigkeit, viel oder wenig Appetit, sehr viele wiederum ziehen sich zurück und versuchen sich auf diese Art und Weise zu schützen. Bei vielen Kindern, besonders bei Mädchen, kann man von Zwangshandlungen und Zwangsgedanken sprechen. Wie die Kinder reagieren hängt schlussendlich von den Bezugspersonen ab. – Warum? – Weil sich die Kinder an den Erwachsenen orientieren. Wenn ein Elternteil unsicher und verängstigt ist, wird sich das höchstwahrscheinlich auch auf das Kind übertragen.
Man muss hier auch sagen, dass Kinder oft viel bedrohlicher auf harmlose Ereignisse reagieren, als wir Erwachsenen. Wenn unsichere, verängstigende Situationen länger andauern, zeigen Kinder depressive Symptomatiken. Sie ziehen sich zurück, zeigen wenig oder keine Motivation, wenig Interesse, sehr schnelle Resignation oder haben wenig oder gar keinen Appetit.

 

Eine „Internetkultur“ kann Missverständnisse und Diskussionen verhindern. So wie es die Kinder am Anfang lernen, werden sie es später auch praktizieren.

 

• Wie kann man seine Kinder vor einer Depression schützen?
Eltern müssen unbedingt mit Ihren Kindern in Kontakt bleiben, gemeinsame Mahlzeiten und Aktivitäten sind sehr wichtig. Auch gemeinsame Gespräche zum Beispiel, wo man die Welt der Kinder ernst nimmt, nachfragt. Aber vor allem Themen, die wir als Erwachsene nicht verstehen können, sollten wir nicht vor den Kindern thematisieren. Themen, die sehr unklar sind, sollte man in die kindliche Sprache übersetzen, damit sie dem Verständnis der Kinder angepasst sind.

• In welcher Hinsicht haben Ihrer Meinung nach soziale Netzwerke, sei es negativen als auch positiven, Einfluss auf Kinder und Jugendliche?
Die sozialen Netze haben einen enormen Einfluss auf die Bevölkerung, nicht nur auf die Kinder. Selbst Erwachsene können sehr schnell in die Abhängigkeit geraten.
Sie haben natürlich auch sehr viele positive Aspekte, wie die vielen Informationen, die uns zur Verfügung stehen, der Kontakt mit den Freunden. Viele berichten, dass sie nicht mehr einsam sind, seit sie sich in den sozialen Netzen bewegen. Die Dosis ist das Entscheidende.

 

Besonders bei den Pubertierenden ist viel Aufklärungsarbeit zu leisten, wenn es um die eigenen Fotos geht.

 

• Worauf sollten Eltern achten?
Es ist immer wichtig den Kindern zu erklären, welche Funktionen das Internet hat, wie der Kontakt dort entsteht. Wie viele Informationen man von sich geben sollte. Bei kleineren Kindern ist es sinnvoll, den Konsum bewusst zu steuern. Geregelte Zeiten zum Beispiel sind sehr wichtig.
Die werden dann, wenn man sie fest einführt, von den Kindern verinnerlicht, und somit kann eine sogenannte Internetkultur entstehen, die später viele Missverständnisse und Diskussionen verhindern kann. So wie es die Kinder am Anfang lernen, werden sie es später auch praktizieren.
Die Eltern sollen Präsenz zeigen, also da sein, als verständnisvoller Ansprechpartner – auch wenn die Kinder Fehler gemacht haben. Das hat den Effekt, dass es die Beziehung und das Vertrauen zwischen den Eltern und den Kindern stärkt.

• Sollen Eltern die Handys ihrer Kinder kontrollieren?
Kontrolle kann auch einen sehr negativen Effekt haben. Empfehlenswert sind Zeiten, in denen alle Familienmitglieder die Handys bewusst nutzen können, und diese dann auch bewusst beenden. Es funktioniert auch ziemlich gut, wenn man bestimmte Plätze hat für die Handys. Nicht den Kindern die Handys ins Zimmer mitgeben, damit sie dort ewig spielen, sondern wenn die Handyzeit vorbei ist, kommt es auf einen „Handyparkplatz“.
Besonders wenn die Kinder in der Schule mitbekommen, was die Kinder z.B. für Apps benutzen dürfen, dann fragen sie, warum sie das nicht dürfen. Sehr wichtig wäre es dann, den Kindern zu erklären, was mit den Fotos und den Filmen passiert, die ins Internet kommen., welche Apps welche Wichtigkeit haben und warum wir so etwas brauchen. Besonders bei den Pubertierenden ist sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten, wenn es um die eigenen Fotos geht.

• Wie kann man Kinder in dieser Corona-Zeit dazu bringen, ihr Handy wegzulegen und etwas anderes zu machen? Was, wenn Gespräche, Bitten und Verbote nicht mehr nützen?
Man muss die Kinder dazu bringen, ihre Handys wegzulegen. Es ist sehr wichtig, diese Regeln von Anfang an einzuführen. Falls man das nicht getan hat, oder diese Regeln „verloren gehen“, muss man sie etappenweise wieder einführen. Bitten und Verbote haben meist eine kontraproduktive Wirkung, es ist aus meiner Erfahrung das Gespräch, mit dem man den besten Zugang zu den Kindern bekommen kann. Es braucht Geduld, deshalb scheuen sich viele davor und geben auf – aber das ist das, was man nicht tun sollte! Wichtig ist es, Verständnis zu zeigen, Alternativen vorzuschlagen. Gelegentlich sollte man aber auch Interesse für Snapchat und Co. zeigen. Man muss eine gute Beziehung mit den Kindern aufbauen.

 

Bei vielen Familien kommt es vor, dass die Medien die Erziehung und die Kinderbetreuung übernehmen.

 

• Wie verhält man sich am besten mit Pubertierenden?
Das Problem in unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft ist, dass die Erwachsenen die Kinder älter behandeln, als sie sind. Da sich besonders die Mädchen schon früh schminken und erwachsen anziehen, kann es sein, dass man mit ihnen anders umgeht. So wird den Kindern oft bewusst die Verantwortung zugeschoben und sie fangen an, eigene Entscheidungen zu treffen, die aus ihrer Sicht angemessen sind.
Fragen Sie als Eltern immer wieder nach: Wie ist es mit den Freunden, wie geht es ihnen, wer ist dein wichtigster Freund, welche Noten hat er, wo wohnt er, was macht ihr? Bieten Sie den Kindern an, dass Sie ihre Freunde nach Hause mitbringen können, damit man sie kennenlernt – das wollen die Kinder im Grunde gern, aber sie müssen wissen, dass das Erzählte bei den Eltern sicher ist, dass sie es ihnen anvertrauen dürfen.
Bei vielen Familien kommt es vor, dass die Medien die Erziehung und die Kinderbetreuung übernehmen. Hier sollte man auf jeden Fall Regeln aufstellen und mit den Kindern sprechen. Klare Regeln, klare Sprache und keine langen Diskussionen – das ist ganz wichtig.
Genau wie die Erwachsenen auch, brauchen Kinder Pausen und Zeiten für sich.

• Denken Sie, es gibt eine „psychische Krise“ nach der Coronakrise?
Nach dem ersten Lockdown haben sich bei den Menschen Auffälligkeiten gezeigt. Jetzt sprechen wir über eine Pandemie, die bereits mehr als ein Jahr andauert. Wir leben in permanenter Unsicherheit und Angst. Es ist wichtig, den Kindern zu erklären, warum die verschiedenen Maßnahmen so wichtig sind. Wenn man sich selbst bei Themen unsicher ist, sollte man sie nicht mit den Kindern besprechen.
In den Familien, in denen es früher schwierig war, ist es jetzt noch schwieriger geworden. Aber es gibt auch Familien, bei denen es zu einer positiven Entwicklung gekommen ist. Plötzlich konnte man viel mehr gemeinsam tun, Kuchen backen, basteln, vor allem hat sich bei vielen einen neue Esskultur entwickelt. Die familiären Beziehungen sind stabiler und sicherer geworden und viele Familienväter sind jetzt viel präsenter. In jeder Krise gibt es durchaus Dinge, die lehrreich und wichtig sind!

• Gibt es etwas, das Sie unseren LeserInnen noch gerne sagen möchten?
Ich würde empfehlen, sehr gut auf sich und auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Rituale einzuführen, die gut tun, Oasen zu schaffen, in denen man sich regenerieren kann, Spaziergänge einzuplanen. Lassen Sie auch Kinder planen und versuchen Sie, das Positive hervorzuheben. Wenn es uns Eltern gut geht, geht es den Kindern auch gut.

• Vielen Dank für das Gespräch.

 

Mag.a Dusica Tepic betreibt die private psychologische
Praxis „Beziehungskultur“ in Wörgl, Tirol.
www.beziehungskultur.com

 

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