Studie zur psychosozialen Gesundheit der Wiener*innen zeigt besonders Belastung von Frauen
Erschöpfung, Ängste und Depressionen bei 4. Studie weiter gestiegen
(rk) Im Auftrag der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien), sowie der MA 23, MA57 und dem FSW, hat Foresight (vormals SORA Institut) 2023 zum vierten Mal seit 2020 mehr als 1.000 Wiener*innen zu ihrer psychischen Gesundheit befragt. Die Ergebnisse sind mehr als eindeutig: die Herausforderungen für die psychische Gesundheit bleiben weiterhin hoch. Jede fünfte Person berichtet von einer kontinuierlichen Verschlechterung in den vergangenen beiden Jahren. Erschöpfung, Ängste und Depressionen sind am weitesten verbreitet. 69% sehen eine Beeinträchtigung ihrer Alltagsroutine durch Erschöpfung (plus acht Prozentpunkte gegenüber 2022), mehr als ein Viertel davon täglich oder zumindest in mehr als der Hälfte der Tage. Auch Ängste haben gegenüber 2022 nochmals zugenommen und machen 65% der Befragten zu schaffen. Besonders betroffen sind junge Personen und Frauen. Die Teuerung stellt für 59% der Befragten eine schwere Belastung dar.
„Wir sehen aber auch, dass nicht alle im selben Boot sitzen. Auch, wenn alle mit einer stürmischen See zu kämpfen haben, macht es einen Unterschied, ob man sich in einem Tretboot oder in einer Luxusyacht den Wellen entgegenstellen muss. Jene Menschen, die schon vor der Pandemie mit Herausforderungen zu kämpfen hatten, sind deutlich stärker betroffen, als andere. Junge Menschen und Frauen sind besonders belastet. Erschöpfung und Ängste haben bei diesen Gruppen im Verlauf des Jahres 2023 nochmals zugenommen und sind damit in jedem der vier bisher abgefragten Jahre gestiegen. Die stärksten Belastungen finden sich bei Frauen, die Sorgearbeit verrichten und jungen Frauen unter 29 Jahren. Vor allem solchen, die sich im unteren ökonomischen Drittel befinden.“, interpretiert der Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, die Zahlen.
9 von 10 jungen Frauen unter 29 Jahren aus dem unteren ökonomischen Drittel leiden an Erschöpfung und Ängsten, 8 von 10 an unkontrollierten Sorgen. „Wir erkennen auch bei der Sorgenhotline einen Anstieg von Anrufen, gerade von Frauen. Schon vor der Pandemie waren psychische Erkrankungen bei jungen Frauen die häufigste Ursache für Erkrankungen. Mit den Krisen der vergangenen Jahre ist diese Tendenz weiter angestiegen. Mit der Sorgenhotline Wien bieten wir eine niederschwellige, professionelle erste Anlaufstelle geschaffen.“, sagt die Leiterin der Psychosozialen Information, Ardjana Gashi.
Scham ist immer noch ein gewichtiges Argument, warum Menschen, die Unterstützung benötigen, diese nicht in Anspruch nehmen. „Immerhin 28% der Personen, die Hilfe in Anspruch nehmen wollten, haben dies wegen eines Schamgefühls nicht getan. Gerade in der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen müssen wir noch einen weiten Weg gehen. Psychische Hilfe zu holen, muss genauso normal werden, wie dies bei physischen Erkrankungen der Fall ist. Denn frühe Hilfe bedeutet doppelte Hilfe.“, betont Gashi.
Erstmals wurde im Rahmen der Befragung zur psychosozialen Situation der Wiener*innen auch explizit die Einnahme von Medikamenten abgefragt. 13% der Befragten haben täglich oder an mehr als der Hälfte der Tage in den letzten vier Wochen Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingenommen. Ebenso viele Medikamente gegen Müdigkeit und Depression. 24% haben zumindest an einzelnen Tagen Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingenommen, 19% gegen Müdigkeit und Depression. Bei jungen Menschen sind auch hier die Zahlen höher: 33% der bis 29-jährigen nahmen zumindest an einzelnen Tagen Schlaf- oder Beruhigungsmittel zu sich, 31% Medikamente gegen Depression und Müdigkeit.
„Neben der hohen Anzahl an eingenommen Medikamenten, bereitet auch die vergleichsweise geringe ärztlich begleitete Medikation Sorgen. Denn während 79% der älteren Wiener*innen berichten, dass die von ihnen eingenommenen Medikamente verschreibungspflichtig sind, gilt dies bei den unter 29-jährigen nur in 59% der Fälle. Auch bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel sollte eine ärztliche Beratung stattfinden. Selbstmedikation ist mit großen Gefahren verbunden.“, warnt die ärztliche Leiterin der Suchthilfe Wien, Regina Walter-Philipp.
„Schon in den vergangenen Jahren hat die Stadt Wien eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt, um den Herausforderungen zu begegnen. Von der Prävention, über niederschwellige Angebote zur Erstunterstützung bis hin zum Ausbau der Behandlung im ambulanten Bereich. Auch in den kommenden Jahren werden weitere Maßnahmen folgen, etwa mit der Eröffnung weiterer Kinder- und jugendpsychiatrischer Ambulatorien.“, kündigt Lochner an.
Service
- 4. Befragung zur psychosozialen Gesundheit in Wien (jährlich seit 2020)
- 1.033 Befragte 2023, davon 502 Personen, die auch 2022 befragt wurden
- 53% der Befragten waren Frauen