• Sehr geehrter Herr Mahlodji, Ihr Lebenslauf liest sich wie ein Roman, könnten Sie sich unseren Leserinnen kurz vorstellen?
Mein Name ist Ali Mahlodji, ich bin geboren im Iran und lebe seit über 30 Jahren in Österreich. Ich kam als Flüchtling nach Europa und bin im Flüchtlingsheim Traiskirchen aufgewachsen. Ich bin stark geprägt worden von dieser Erfahrung. Ich habe die Schule abgebrochen, weil ich gestottert habe. Ich hab dann aus meinen Erfahrungen versucht das beste zu machen. Ich hatte die ersten Jobs und dann beschlossen Lehrer zu werden, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben und den Kindern zu helfen, die dasselbe durchgemacht haben wie ich.
- Sie sind Mitbegründer von whatchado. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Internetseite ins Leben zu rufen?
Durch die Erfahrung in der Schule ist die Idee entstanden, für junge Menschen etwas zu bauen, um ihnen zu helfen, sich zu orientieren. Somit entstand dann auch die Idee zu „whatchado“.
- Weshalb sind Sie ausgestiegen?
Ich war bei whatchado zuletzt Chief Storyteller und in der Geschäftsführung tätig, seit 2013 widme ich mich der Arbeit als EU Jugendbotschafter, Trendforscher, Speaker und Autor. Ich mache zurzeit also Vorträge und Coachingarbeit und Unterstützung von Organisationen und Unternehmen. Ich verbringe auch ganz viel Zeit in Schulen, um Jugendliche aufmerksam zu machen, und zur Potenzialentfaltung. Die andere Zeit verbringe ich mit Erwachsenen in Schulen und auch mit Bildungskräften, um zu erklären, wie sich die Jugend entwickelt und warum es so wichtig ist, das Thema Vielfalt auch zu leben.
- Sie haben an die 40 verschiedene Berufe ausprobiert. Können Sie uns einige davon nennen? Vielleicht die ungewöhnlichsten davon?
Na ja, ungewöhnlich sind sie nicht, es ist nur so, dass man die Jobs oft nicht kennt. Aber ich hatte mal einen Job, da bin ich in einer Lagerhalle gestanden, das war im schönen Korneuburg, und habe den ganzen Tag nichts gemacht, als für das Weihnachtsgeschäft kleine Schachteln vorzubereiten, wo dann später Christbaumkugeln hineinkommen. Das heißt, ich war Fließbandarbeiter, aber es war interessant zu sehen, wie das alles so funktioniert.
Eine anderer Beruf war auf der Baustelle, diese Arbeit hat mich sehr geprägt. Da habe ich richtig gelernt, was es heißt, mit anderen Leuten auf Augenhöhe zu reden.
Außerdem war ich mal Türsteher, ich habe in Supermärkten gearbeitet. Ich war mal Lehrer, das war mit Abstand der beste Job den ich gemacht habe, da er für mich auch der sinnvollste war. Jeder Job hat natürlich seine Besonderheiten aber da wo ich am meisten bewirkt habe und der Gesellschaft am meisten zurückgeben konnte, war der Lehrerjob.
- Einigen Eltern werden sich wahrscheinlich die Haare sträuben, wenn Sie den Kindern und Jugendlichen raten, mehrere Berufe auszuprobieren, und dass es o.k. ist, wenn man nicht sofort weiß, was man im Leben machen will. Was haben Ihre Eltern gesagt?
Den Schulabbruch fanden meine Eltern klarerweise nicht cool. Aber es waren meine Eltern, die gesagt haben, probier so viel in deinem Leben aus, wie du kannst. Mein Vater hat mir gesagt: „Weißt du Ali, es gibt auf der Welt tausende Jobs und kein Mensch kennt die alle. Du hast nun zwei Möglichkeiten: Du kannst dir von uns Erwachsenen ständig erklären lassen, was du kannst und was du nicht kannst – nur – wir Erwachsenen wissen es auch nicht besser. Oder du beginnst einfach zu probieren und dir dein eigenes Bild zu machen.“ Und wenn ich jetzt Jugendlichen sage sie sollen Dinge ausprobieren, dann meine ich macht euch ein eigenes Bild, denn die Erwachsenen um euch herum wissen es auch nicht besser. Kein einziger, kein Elternteil, kein Lehrer, kein Bildungsberater kennt alle Möglichkeiten, und einem Jugendlichen die ganze Zeit zu suggerieren was er kann und was er nicht kann, ist dann schon radikal gefährlich.
- In wieweit haben Ihre Lehrer Ihren Berufsweg geprägt?
Ich hatte oft Lehrer, die gesagt haben, „das kannst du vergessen, das wird alles nichts“, sie haben zu meinen Eltern gesagt „der Ali hat eine Lernschwäche“, weil ich gestottert habe. Ich hatte auch Lehrer die gesagt haben, ich solle nicht daran denken eine höhere Ausbildung zu machen, weil die viel zu schwer für mich sei.
ABER ich hatte auch einen Lehrer, das war der Gerhard, der hat bedingungslos an mich geglaubt. Er hat zu meinen Eltern gesagt, der Ali wird seinen Weg schon gehen. Als ich begonnen habe zu stottern hat er zu mir gesagt: „Ali, du stotterst nur, weil du zu viel Energie in dir hast, und dein Körper ist noch zu jung um mit dieser Energie umzugehen. Denk dir einfach jedes Mal wenn du stotterst, du hast so viel Kraft und später in deinem Leben wirst du es jedem einmal zeigen.“ Der Typ hat mich als Kind natürlich voll angelogen, aber er hat es auch meinen Eltern erzählt und die haben mitgespielt. Ob ich schlechte Noten habe, ob ich stottere – egal – ich bin gut so wie ich bin. Das hat mich schon irre gestärkt.
Ich hatte auch einen Lehrer, den Klaus, der hat zu meiner Mutter gesagt: „Um den Ali braucht man sich keine Sorgen machen, der wird schon seinen Weg gehen.“, obwohl ich in seinem Fach auch nicht die besten Noten hatte.
- Ihr Talent und Ihre selbsternannte Aufgabe ist es, Jugendliche zu motivieren. Wie schaffen Sie das? Was erzählen Sie ihnen?
Eine Sache, die ich den Jugendlichen immer erzähle, ist meine eigene Lebensgeschichte. Für junge Menschen ist es extrem wichtig Authentizität zu spüren, und Authentizität spüren sie erst dann, wenn der, der mit ihnen spricht, es auch ehrlich meint. Wenn du ihnen ehrlich die ganzen Up´s und Down`s erzählst, was du durchgemacht hast – ich hab die Schule geschmissen, ich hab gestottert, ich war auch mal der Schüler. Wenn man ihnen so begegnet, beginnen sie, einem zu vertrauen. Das ist immer das wichtigste. Ohne Vertrauen geht gar nix. Dann beginnen die Jugendlichen zuzuhören, und wenn ich das Vertrauen hab, dann beginne ich ihnen klar zu zeigen, wie ihre Welt heute aussieht. Ich zeige ihnen, dass die jetzige Arbeitswelt nichts mehr mit der ihrer Eltern oder Großeltern zu tun hat. Ich bringe ihnen bei, die ganzen Glaubensgrundsätze ihrer Eltern zu hinterfragen. Ich sage ihnen, dass wenn ihre Eltern sagen, such dir einen sicheren Job, nur die Matura ist das einzig Wahre, dann ist das alles komplett überholt. Sie müssen selbst ihre Zukunft schreiben. Ich habe in den letzten Jahren zig tausende Jugendliche erreicht, ich war auch letztes Wochenende wieder bei 1.000 Jugendlichen und ich merke, dass oft Jugendliche nach meinem Vortrag zu mir kommen und sagen: „Hey, danke, jetzt habe ich auch Argumente wenn ich mit meinen Eltern diskutiere, weil die immer sagen, das ist ein Blödsinn, was ich machen will.“ Ich zeige den Jugendlichen, dass wir 100.000 Jobs auf der Welt haben, und dass dir kein Erwachsener wirklich sagen kann, welcher der richtige für dich ist. Ich zeige ihnen, dass es wichtig ist im Leben an seine Talente zu glauben, weil das die einzige Chance ist, auch langfristig Energie zu haben. Ich bin mit den Kindern auf Augenhöhe.
Ich glaube besonders auch Kinder mit einem Migrationsbackground oder mit einem Elternhaus, in dem man nicht so an das Kind glaubt, ist es wichtig, sie zu stärken.
- Welchen Stellenwert hat eine (abgeschlossene) Ausbildung oder Lehre in Ihren Augen?
Jede Art von Bildung ist sehr gut um sich weiterzuentwickeln. Aber das Wort Ausbildung an sich ist total überholt, weil ich eigentlich niemals ausgebildet bin. Auch wenn ich jetzt eine tolle Ausbildung habe in einem technischen Bereich an der Uni, wenn ich mich nicht ständig weiter entwickle, werde ich ziemlich bald überholt werden von Menschen, die sehr wohl auf dem neuesten Stand sind. Das heißt Bildung ist sehr, sehr wichtig, ob das jetzt Matura ist oder eine Lehre oder Studium ist komplett egal, das Wichtige ist, dass man eine Bildung beginnt, wo man wirklich zu sich sagt: „Egal, wie sich der Markt weiterentwickelt, in diesem Bereich habe ich Lust einer der Besten zu werden, in diesem Bereich habe ich Lust zu lernen.“ Und nicht dass man das macht, weil man halt muss.
Leider Gottes sagen die Eltern den Kindern ganz, ganz oft: „Die Lehre kannst du vergessen, die ist der größte Blödsinn, die Lehre machen nur die Leut‘ die sonst nix kriegen.“ Die Wahrheit ist: wir haben einen großen Fachkräftemangel in ganz Europa. Jeder weiß, die Lehre ist im Moment die Ausbildung, die die größten Zukunftsaussichten hat, weil du sehr jung in den Arbeitsmarkt einsteigst und lernst im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, gleichzeitig bekommst du dein erstes Geld UND du hast eine Bildung, eine Ausbildung. Das heißt du hast viele Sachen. Wir brauchen Fachkräfte und deswegen kommt das Thema Handwerk, Lehre, gerade wieder zurück. Und das Problem ist, dass die Eltern und Großeltern ihren Kindern immer noch erzählen, dass die Lehre nicht gut ist vom Ansehen her, was natürlich ein kompletter Schwachsinn ist. Die Eltern müssten als erstes mit ihrem Kind reden: Wer bist du und was willst du und dann kann ich dir sagen, wo in diesem Bildungssystem du etwas findest, wo du sagst, dass du dich in den nächsten Jahren gut weiterentwickeln kannst.
Foto: Christoph Steinbauer